Interview mit Chris Boettcher

(27.11.2024 München/Lustspielhaus)

Begleitend zu seinem aktuellen Tourprogramm "Freudenspender"

https://www.chris-boettcher.de

Foto: Dennis König

Bayerische Kultserien: Chris, wann ist für Dich etwas „Kult"?

Chris Boettcher: (lacht) Kult ist natürlich ein sehr stark bemühtes Wort, von dem ich eigentlich nicht so viel halte. Wenn ich aber das Wort „Kult" bemühe, dann in Bayern tatsächlich bei etwas wie der Serie „Monaco Franze", bei dem leider verstorbenen Fredl Fesl, der Spider Murphy Gang oder Gerhard Polt.

B K: Mit Fredl Fesl und Gerhard Polt hast Du gerade zwei Kollegen aus Deinem Metier genannt. Waren und sind das welche, die Du bewundert hast?

C B: Ja, bewundern tue ich beide. Fredl Fesl vor allem deshalb, wie er musikalisch die Verse gedrechselt hat. Ich bin ja auch Musik-Comedian, aber er war in dieser Art der Erste. Gerhard Polt ist bei dem was er macht wirklich „outstanding", wie man auf gut Boarisch sagt. (lacht) Er steht wirklich außer Konkurrenz, weil er bis heute schafft unterhaltsam UND politisch zu sein, ohne dass die Leute manchmal merken, WIE politisch das eigentlich ist. Das finde ich so sakrisch gut an ihm.

B K: Mittlerweile stehst Du schon seit über 30 Jahren selber auf der Bühne. Das schaffen auch nicht so viele. Hättest Du das damals für möglich gehalten?

C B: Nein. Ich bin da ja selber auch irgendwie so reingerutscht. Was Gescheites hab ich nicht gelernt und mein Anglistik und Germanistik Studium erfolgreich nach 6 Semestern abgebrochen. Ich musste mir dann irgendetwas überlegen und bin bei privaten Radiosendern gelandet. Ich denke aber eigentlich nie an gestern, was wirklich ganz schlimm ist bei mir. Ich musste mir irgendwann mal merken, wann genau ich Abitur gemacht habe, damit ich das den Leuten sagen kann, wenn danach gefragt wird. Und nach vorne schau ich auch relativ wenig. Ich lebe gerne im Hier und Jetzt. Bei einen schönen Text denke ich mir vielleicht „ui, das könnt was werden". Wenn es, wie damals z.B. bei „10 Meter geh", tatsächlich etwas Größeres wird, dann verändert sich ja einiges bei der Aufmerksamkeit. Man kann schon immer darauf hoffen, dass so etwas kommt, aber damals hatte ich überhaupt keinen Plan, wo ich in 30 Jahren sein würde. Das weiß ich auch jetzt nicht. Ich bin da ein planloser Mensch. (grinst)

B K: Ich glaube schon, dass einige Leute von Deinen Hits schon sagen würden „Das ist Kult", um das Wort noch mal zu benutzen. Ab wann merkst Du denn selber, dass es etwas Größeres wird?

C B: (überlegt) Beim Schreiben und wenn man damit ins Studio zur Aufnahme geht, hat man vielleicht so eine Ahnung, aber so richtig merkt man das erst, wenn es damit vors Publikum geht. Bei „10 Meter geh" oder auch „Bockfotzengsicht" habe ich dann gemerkt, dass sie Leute voll drauf abfahren. In Österreich wiederum war es eher der Song „Pubertät", der vor allem auch im Internet sehr viral ging. Die kennen mich dort hauptsächlich von diesem Lied und nicht von „10 Meter geh". Ich schiele aber nicht so auf den Kult, sondern eher darauf, was mich künstlerisch erfüllt. Ich habe z.B. jetzt auch etwas mit einer Big Band gemacht, weil mich das sehr beschäftigt hat. Es ist was ganz anderes und damit mache ich ein bayrisch-deutsch gemischtes Programm. Manchmal habe ich auch Lust auf ein paar Akkorde mehr oder auf lyrische oder romantische Texte, damit ich meine Vielseitigkeit auch ausleben und gerecht werden kann. Damit habe ich beispielsweise bei den Jazz-Tagen in Ingolstadt gespielt und auch gemerkt, dass man die Leute auf andere Art ins Herz treffen und bewegen kann.

Chris Boettcher | BIG BAND | Nicht ohne meine Big Band

B K: Da sind richtig gute Musiker dabei, oder?

C B: Es sind Mitglieder der SWR Big Band, die vor über einem Jahr einen Grammy für die beste Jazzplatte bekommen hat und mit Paul Carrack in der Royal Alber Hall in London waren. Die spielen dann mit mir meine Songs und Arrangements.

B K: Kult ist ja auch tatsächlich nichts Planbares. Ein gewisses Merkmal bei Dir war aber immer schon die melodische und musikalische Seite bei Deinem Kabarettprogramm.

C B: Ja, die Melodie liegt mir schon am Herzen.

B K: Dann ist es für Dich auch nichts Schlimmes, wenn Deine Songs auf der Wiesn gespielt werden?

C B: Das ist doch super. Damals sind mir wirklich mal zehn Betrunkene, eingehängt zu einer Menschenkette, entgegengekommen und haben „10 Meter geh" gesungen. Das fand ich toll. (lacht)

B K: Von Heidi Klum-Fans gab es auch keine bösen Kommentare?

C B: (lacht) Nein, das nicht. Eine bekannte hübsche Dame, deren Namen ich jetzt nicht mehr weiß und die mal im Dschungelcamp war (Anmerkung: Es war Indira Weis mit „Hol de Radio"), hat sogar mal den Song eins zu eins geklaut und daraus ein neues Lied gemacht. Die wollte damals mit auf den Zug aufspringen, aber mein Verlag hat sich damals beschwert, weil es halt doch zu ähnlich war. Aber Heidi Klum hat es wohl nichts ausgemacht. Sie ist ja immer noch sehr erfolgreich. Ich habe auch mal zu „Bauer sucht Frau" ein Lied gemacht und das gibt es ja auch immer noch. (lacht)

B K: Da warst Du wohl nicht kritisch genug.

C B: (lacht) Wahrscheinlich.

B K: Dein aktuelles Programm heißt „Freudenspender". Warum?

C B: Mir ist nichts Besseres eingefallen. (lacht) Ich glaube es ist das, was wir momentan am besten gebrauchen können. Der Witz ist, dass meine Programme immer zur Hälfte auf der Bühne entstehen. Manchmal kommt noch etwas Altes dazu, oder ich probiere etwas ganz Neues aus, was eigentlich erst im nächsten Programm geplant war. Es ist also immer ein Sammelsurium. Mein Agent, der auch sehr oft die Technik für mich macht, sagt immer „Chris, bei Dir ist ein Programm nie wie das andere". Mir geht es immer darum, sich auf das Publikum einzustellen. Aber der „Freudenspender" ist für mich etwas ganz wichtiges heutzutage, weil die Nachrichten von überall so negativ sind. Ich habe auch gemerkt, dass die Leute nicht immer etwas über Politik hören wollen. Wenn ich aber etwas darüber mache, dann auf jeden Fall so, dass jeder darüber lachen kann, auch wenn es noch so ein ernstes Thema ist. Auf der Bühne versuche ich immer das Lachzentrum anzusteuern. (grinst)

Chris Boettcher | Termine | Freudenspender

B K: Aktuelle gesellschaftliche Themen und Politik behandelst Du aber durchaus immer.

C B: Natürlich beziehe ich schon mit manchen Texten Stellung und teste auch gerne, wie es da beim Publikum aussieht. Interessanterweise gibt es dann zwischen Stadt- und Landpublikum unterschiedliche Reaktionen, aber nicht immer so, wie man jetzt vielleicht denken würde.

B K: Bist Du ein Mensch, der so eingestellt ist, dass er aus allem etwas Positives ziehen will?

C B: Muss ich, ja. Mein Vater war auch jemand, der bis zum Schluss seinen Humor gehabt hat, auch wenn es ihm schon sehr schlecht gegangen ist. Ich glaube das hab ich von ihm gelernt. Es ist auch immer die Quintessenz meines Programms am Ende, das Humor immer das wichtigste ist. In Bayern sollte man sich das natürlich neben dem Bier genauso erhalten. (lacht) Ich glaube Musik und Humor sind das Wichtigste um Menschen zueinander zu führen. Und ich darf zum Glück beides bedienen.

B K: Woher nimmst Du die Ideen für Dein Programm?

C B: (überlegt) Früher war ich mehr auf der Suche nach Themen, das bin ich jetzt nicht mehr. Ich habe das Gefühl ich werde etwas ruhiger und habe schon viel bedient. Auf der anderen Seite ist mir heute wieder eine Mutter begegnet, die ihrem Kind hinterher rief: „Dante, geh nicht auf die Straße! Dante, komme her!". Ich habe mir dann überlegt, wie er wohl mit Nachnamen heißt. Vielleicht Schmidtbauer oder Moosgruber… und schon hab ich wieder ein neues Gedicht. (grinst) Zu vielen Dingen habe ich schon Sachen, die ich auspacken kann. Die Ideen kommen mir beim Autofahren und beim beobachten der Leute. Ich habe auch viele Dinge, die ich überhaupt noch nicht vorgestellt oder auf der Bühne gebracht habe. Entweder weil ich gedacht habe, sie wären nicht lustig genug, oder ich bin mir unschlüssig ob etwas zu nachdenklich oder vielleicht sogar zu albern ist.

B K: Dann gibt es bei Dir eine große Schublade mit vielen Texten drin?

C B: Ja. Also eigentlich ist der Computer die Schublade. Letztens habe ich über meinen I-Mac ein Bettlaken zum Trocken gespannt. Als ich angezogen hab, hat es ihn runtergehauen. (lacht) Jetzt kann ich leider einiges nicht mehr lesen und müsste mal auf der Festplatte nachschauen.

B K: Hast Du auch wieder Parodien im Programm dabei?

C B: Ja, allerdings werden die tatsächlich weniger. Ich muss sagen, dass ich einen Habeck oder auch einen Lauterbach nur andeute und wirklich keinen kenne, der einen Olaf Scholz parodiert. An dem beißen wir uns alle die Zähne aus. Auch ein Merz oder Lindner, sind alle so hochdeutsch und langweilig, geradlinge Menschen. Die gut zu parodierenden fallen leider langsam immer mehr raus. Ich mache es deswegen gerne, weil es mir relativ leicht fällt.

B K: Wann hast Du gemerkt, dass Du das gut kannst?

C B: Ich glaube es war ca. 1999, da war ich noch bei Antenne Bayern. Ich war mit einem Freund in der Kneipe und wir haben das Champions League Finale vom FC Bayern gegen Manchester United angeschaut. Ich habe dann nebenbei immer den Franz Beckenbauer nachgemacht. Und weil Lothar Matthäus auch jemand war, den man gut nachmachen konnte, habe ich für Antenne Bayern „Lothar & Franz" entwickelt. Ich habe ihnen das vorgestellt und sie fanden, dass ich das nicht gut nachspreche. Das hat mich so verärgert, dass ich nach der Schicht vom Antenne Bayern-Telefon noch beim Bayern 3-Chef angerufen habe und ihn gefragt habe ob er Interesse hat. Er meinte dann „Was? Chris Boettcher der Frühaufsänger? Komm sofort rüber!". Ich meinte „Es ist jetzt Freitag, 18 Uhr." – „Egal, ich warte auf Dich." Der hat mich sofort engagiert. „Lothar und Franz" ist dann bei Bayern 3 gestartet und hier muss ich tatsächlich auch sagen, dass es „Kult" wurde. Auch die „Denglisch mit Loddar"-Geschichten wurden ein Hit und bei Antenne Bayern zuvor der „Frühaufsänger", bei dem ich live Leute mit einer Gitarre in ihrem Schlafzimmer geweckt habe. Und das ca. 160 Mal. So etwas hatte es zuvor nicht im Radio gegeben. Da bin ich tatsächlich ein wenig stolz, dass mir dieser Schmarrn eingefallen ist. (lacht)

B K: Und ich bin froh, dass Du jetzt doch einsiehst, dass Du „Kult" gemacht hast.

C B: (lacht) Ja, ein bisschen dann doch.

B K: Stimmt es, dass Franz Beckenbauer auch verärgert war deswegen?

C B: Es gab sogar eine TZ-Schlagzeile: „Hört endlich aus uns zu verhöhnen!" Der Kaiser schickt seine Anwälte zum BR. Als ich in die Arbeit ging, habe ich das in der Zeitung gelesen und sehe dort ein Bild von mir, Lothar und Franz. Vor der WM in Deutschland hat daraufhin tatsächlich der damalige Hörfunk-Intendant diese Reihe aus dem Programm genommen. Ich habe mir dann etwas Neues einfallen lassen und nach der WM „Chris Boettchers unglaubliche Fußball-Task Force" einfallen lassen. Da waren dann neben Lothar und Franz gleich mehrere dabei. Zum Beispiel auch Edmund Stoiber und Rainer Calmund. Das ist dann auch wieder gut gelaufen. Uli Hoeneß hatte da ein viel größeres Verständnis für diese Comedy und hat mich z.B. zwei Mal für die Weihnachtsfeier eingeladen, weil er es so toll fand. Bei einer Weihnachtsfeier hätte Gerhard Polt nach mir auftreten sollen, hatte aber vergessen, dass er dort spielen muss. Es wurde dann Markus Wasmeier, der in unmittelbarer Nähe wohnt angrufen, er solle doch mal bei ihm klingeln. Die Antwort von Gerhard Polt war nur „Wos, i hob gmeint des is morgen." (lacht) Er kam auf jeden Fall noch und die Bayern-Spieler sind alle dagesessen und haben nix verstanden. (lacht) Auch beim 60. Geburtstag von Karl Heinz Rummenigge bin ich aufgetreten oder habe „10 Meter geh" im Stadion in der Halbzeitpause gespielt. So schließt sich dann doch noch der Kreis mit dem FC Bayern. (lacht)

B K: Nachdem Du ja bei einer Meisterfeier auch schon auf dem Rathaus-Balkon gespielt hast, dürftest Du somit Franz Beckenbauer auch öfter mal begegnet sein.

C B: Tatsächlich nur wenige Male, denn bei den genannten Weihnachtsfeiern war er nicht da. Komischerweise, denn Kinder hatte er zu dem Zeitpunkt eigentlich schon genug gezeugt. (grinst) Aber ich war auch mal zu einem runden Geburtstag von ihm eingeladen und er war nie böse oder verärgert. Ich gehe davon aus, dass die Geschichte eher mit seinem Management zu tun hatte.

B K: Du bist selber ja auch FC Bayern-Fan. Wie ist es, wenn man da seine Idole trifft?

C B: Ich habe mich nur mal mit dem Thomas Müller fotografieren lassen. Ein Selfie, das vor allem meinen Buam gefallen hat. Ich finde ihn aber auch toll. Er ist Bayer, so normal geblieben, hat humoristische Züge und damit einfach ein Original. Toller Typ.

 

B K: Wäre aus Dir auch ein guter Fußballer geworden?

C B: Nein. Wenn dann Handballer. Da habe ich zumindest in der Oberbayerischen Auswahl mitgespielt. Linksaußen beim MTV Ingolstadt, wo übrigens Horst Seehofer auch gespielt hat. Allerdings war er etwas älter und war zu dem Zeitpunkt nur noch in der Reserve glaube ich.

B K: Du hast schon so viel erlebt und warst bei vielen Dingen dabei. Ist Dir Vielseitigkeit und Flexibilität wichtig?

C B: Ja, würde ich schon sagen. Momentan lebe ich aber gerne einfach im Moment und geh auch meinen Hobbys nach. Ich versuche nichts zu erzwingen, verlasse mich auf meine Entertainer-Qualitäten, schreibe gerne Texte und will die Leute unterhalten.

B K: Ist Dir eigentlich schon mal eine Rolle bei einer Serie oder im Film angeboten worden?

C B: (überlegt) Ich glaube nicht. Eigentlich komisch. Ich war ja mal Lockvogel bei „Verstehen Sie Spass?". Aber ehrlicherweise habe ich mich auch selber nie beworben.

B K: Welche bayerische Kultserie gefällt Dir persönlich am besten?

C B: Natürlich finde ich Polts „Fast wia im richtigen Leben" das absolute Non plus Ultra. Auch „Monaco Franze", wobei ich sagen muss, dass mir vor allem Walter Sedlmayr in „Polizeiinspektion 1" gefallen hat. Er war vom schauspielerischen her so überzeugend und eine echte Granate. Das muss man als Volksschauspieler erst mal schaffen, so ein Monument zu werden. In der gleichen Tradition wie Gustl Bayrhammer oder Karl Tischlinger, die ich als Kind auch noch in „Königlich Bayerisches Amtsgericht" gesehen habe.

B K: Vielen Dank für das Gespräch Chris!

C B: Sehr gerne.

 
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